Lernen mit Nachhall

Nur ein geringer Teil dessen, was wir aus Weiterbildungen mitnehmen, bleibt dauerhaft erhalten. Können wir das auch nachhaltiger gestalten? Ein ExpertInnengespräch

Rund 30 Milliarden Euro jährlich werden in Deutschland für Weiterbildungsmaßnahmen ausgegeben. Tendenz: steigend.
Die Anzahl der jährlichen Weiterbildungstage je InnendienstmitarbeiterIn in der Versicherungswirtschaft nimmt mit zuletzt über zwei Tagen (in 2019) ebenfalls zu (Quelle: Bildungsumfragen der Versicherungswirtschaft).

In einer Studie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (aus 2018) gaben 80 Prozent der Befragten an, die in einer Weiterbildungsmaßnahme vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten viel bis sehr viel nutzen zu können.

Dauerhaft bleibt davon aber wenig erhalten. „Nur zehn Prozent des Erlernten werden tatsächlich in der Praxis umgesetzt,“ attestiert Dr. Jochen Bohne, Abteilungsleiter Vertriebsentwicklung der Provinzial Rheinland Versicherung AG. Die Gründe dafür sind vielfältig.
Wie aber kann eine hohe Lerneffektivität und eine möglichst lang anhaltende Wirkung von Weiterbildungsmaßnahmen erzielt und gesichert werden? Wodurch wird die Nachhaltigkeit des Lernens im positiven und im negativen Sinn beeinflusst?

Diesen Fragen ging Jochen Bohne zusammen mit Ann-Kristien Kraft, Psychologin und Trainerin, Provinzial Rheinland, in einem Workshop auf dem Bildungskongress der Deutschen Versicherungswirtschaft Anfang Oktober in Berlin nach.

Herr Bohne, fehlt den Weiterbildungsmaßnahmen der Praxisbezug oder warum bleibt im Arbeitsalltag so wenig davon haften?

Jochen Bohne: Der Praxisbezug ist vermutlich bei den meisten AnbieterInnen in vielen Veranstaltungen gegeben, aber die Motivation zur Umsetzung verpufft dann oft im Arbeitsalltag wieder. Der positive Nachhall einer Schulung wird durch Echodämpfer wieder abgeschwächt, zum Beispiel: Führungskräfte, die Weiterbildung nicht honorieren; fehlende Bereitschaft in der Abteilung, Veränderungen zuzulassen; Arbeitsrückstände nach einem Seminar oder der auch fehlenden Anwendungsfälle.

Was könnten umgekehrt Lernverstärker sein?

Jochen Bohne: Es sind uns natürlich aus der Pädagogik viele Instrumente bekannt. Interessant für unsere Zwecke finde ich zum Beispiel Learning by Teaching als Methode in Präsenzveranstaltungen oder Learning on demand via Internet. Sehr wichtig ist zudem eine zeitnahe Umsetzung durch regelmäßige Praxisfälle, idealerweise in einem Lernteam. Und hinzu kommen atmosphärische Elemente im Lernformat selbst, zum Beispiel Wertschätzung und Empathie für die TeilnehmerInnen.

Mitunter wird Weiterbildung als Pflichtveranstaltung verstanden, etwa um die IDD-Vorgaben zu erfüllen oder auch bei der Schulung neuer Software-Komponenten. Welche Rolle spielt die intrinsische Motivation in puncto Nachhaltigkeit?

Ann-Kristien Kraft: Eine hohe intrinsische Motivation ist natürlich immens wichtig, da ohne diese die Nachhaltigkeit faktisch leiden muss. Daher ist es sinnvoll den Sinn und Zweck einer Schulung darzustellen, um so die Motivation der TeilnehmerInnen zu stärken. Der bzw. die Lernende muss die Vorteile und den Nutzen für die Arbeit erkennen können, damit die Schulung nicht als lästige Pflicht abgehakt wird. Gut ist dabei, wenn das Veranstaltungsangebot eine große Bandbreite abdeckt, so dass für jede und jeden etwas dabei ist, was ihn oder sie interessiert, Vorteile bringt.

Aus der eigenen Schulzeit wissen wir: Bei einer Lehrkraft engagieren wir uns gerne, fällt uns das Lernen leichter und bei einer anderen weniger. Woran liegt dies Ihrer Meinung nach und wie ließe sich das steuern?

Ann-Kristien Kraft: Neben Sympathie-Faktoren für die Lehrkraft liegt das vor allem auch an der methodischen Vielfalt: Werden verschiedene Sinne angesprochen? Gibt es einen guten Medienmix? Wie kreativ erfolgt die Einbindung und Aktivierung der TeilnehmerInnen? Sind die Lernenden passiv und unmotiviert, so ist das nicht vorrangig deren Schuld, sondern vielmehr eine kritische Anfrage an das Umfeld, aus dem sie kommen, und an die DozentInnen.

 

Nicht selten vergeht viel Zeit bis etwas Neuerlerntes angewendet werden kann. Warum ist Learning on demand wirkungsvoller als auf Vorrat zu lernen?

Jochen Bohne: Wie schon gesagt, liegt es auf der Hand, dass Praxisfälle zeitnah das Erlernte vertiefen helfen sollten. Hier liegen die Stärken von Learning on demand. Es ist aber nicht immer so einfach abbildbar und oft nur über Online-Medien möglich. Daher bietet Learning on demand nicht nur Vorteile, da die methodische Vielfalt in einer Präsenzschulung oder in einer Lerngruppe besser abgebildet werden kann, zum Beispiel durch das gemeinsame Üben. Zudem besteht die Gefahr eines zu oberflächlichen Lernens.

Muss Lernen demnach nicht grundsätzlich anders, schneller organisiert werden? Und welche Rolle könnten dabei digitale Lernplattformen spielen?

Jochen Bohne: Lernen erfolgt am besten über die gesamte Organisation, in der sich der Lernende bewegt. Oft wird es aber nur auf die Lernangebote reduziert, die von den zuständigen Abteilungen angeboten werden. Das Unternehmen selbst muss aber zu einer lernende Organisation werden, mit Veränderungswillen und -möglichkeiten in allen Facetten und Strukturen. Digitale Angebote sind dabei nur ein gutes weiteres Instrument zur Verbreiterung der Lernmöglichkeiten aber kein Allheilmittel gegen die Lernmüdigkeit in Unternehmen.

Ihr Job bringt es mit sich, sich selbst kontinuierlich weiterzubilden. Wie lernen Sie nachhaltig?

Ann-Kristien Kraft: Am besten lerne ich zu Themen, die ich direkt umsetzen kann – zum Beispiel in der eigenen Seminarvorbereitung als Trainerin. Das Internet ist dabei für mich neben Fachliteratur und gezielten Schulungen das wertvollste Lernmedium.

Jochen Bohne: Ich glaube, meine wertvollste Lernquelle ist die Begegnung und das Gespräch mit Menschen – ganz unabhängig von Lernformaten. Das hilft mir ungemein, neue Sichtweisen und Ideen zu verstehen und zu kalibrieren.

Vielen Dank für das Gespräch!

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