Nachhaltige Entwicklung heißt, Umweltgesichtspunkte gleichberechtigt mit sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu berücksichtigen. Zukunftsfähig wirtschaften bedeutet: Wir müssen unseren Kindern und Enkelkindern ein intaktes ökologisches, soziales und ökonomisches Gefüge hinterlassen, in dem sie leben können. Dieser Anspruch trifft Einzelne ebenso wie (Versicherungs-)Unternehmen.
Schubert: Nachhaltigkeit ist ein großer – und leider auch stark strapazierter Begriff. Googeln Sie mal – Sie erhalten ungefähr 120.000.000 Ergebnisse. Google liefert weit oben auch zwei knackige wie grundlegende Erklärungsansätze:
1. längere Zeit anhaltende Wirkung
2. forstwirtschaftliches Prinzip, nach dem nicht mehr Holz gefällt werden darf, als jeweils nachwachsen kann.
Vor allem der zweite Aspekt trägt sehr stark das Grundprinzip der nachhaltigen Entwicklung in sich. Es darf nicht mehr entnommen werden, als sich wieder regenerieren kann. Das ist ein einfaches und elementares Prinzip, von dem unser modernes Leben gerade nicht weiter entfernt sein könnte. Längst leben wir so, dass die Bedürfnisse nachfolgender Generationen nicht mehr erfüllt werden können. Ein „Business as usual“ nimmt den Jüngeren die Möglichkeit, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil wählen zu können.
In seinem aktuellen Urteil zur Klimapolitik vom 24.03.2021 rügt das Bundesverfassungsgericht die Politiker, da diese unzureichende Klimamaßnahmen im Sinne jüngerer Generationen forcieren würden. So erklärten die Richter mit Blick auf künftige Generationen, dass das deutsche Klimaschutzgesetz in der aktuellen Form mit den Grundrechten teilweise unvereinbar sei. Nach dem Urteil muss sich die Politik jetzt um bessere Richtlinien zum Klimaschutz kümmern und über das Jahr 2030 hinausblicken.
GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen sieht darin ein wegweisendes Urteil für mehr Klimaschutz. Er betont, dass mehr passieren muss, um die Auswirkungen des Klimawandels zu mindern. Asmussen befürwortet, dass Karlsruhe von der Politik klare Emissionsziele für die Zeit nach 2030 einfordert: „Nur so kann die Wirtschaft schon jetzt langfristig planen: Auch für uns als Versicherer sind solche Emissionsziele wichtig. Das Geschäftsmodell von Versicherern zielt seit jeher auf die langfristige Absicherung von Risiken – Nachhaltigkeit ist eine wesentliche Voraussetzung dafür.“ Ferner, so Asmussen, seien Versicherer „prädestinierte Partner für die grüne Transformation der Wirtschaft und eine nachhaltige Infrastruktur.“
Die EU treibt die Entwicklung zu mehr Nachhaltigkeit voran – auch für die Versicherungsbranche. Die Politik hat erkannt, welch massiven Transformationshebel das Finanzsystem hin zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise hat, und setzt u.a. mit dem EU Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums klare Leitplanken für einen Kurswechsel.
Schubert: Mit Blick auf den ersten Punkt der Google Erläuterungen haben viele Versicherer durchaus das Gefühl, sowieso nachhaltig zu sein. Denn in ihrem Geschäftsmodell geht es ja um die Absicherung künftiger Risiken. Doch auf diesem Gefühl sollten sich Versicherer besser nicht ausruhen.
Schon jetzt müssen sich Versicherungsunternehmen aktuell erweiterten oder neuen regulatorischen Anforderungen zum Thema Nachhaltigkeit stellen. Ein Beispiel ist die neue Transparenzverordnung (TVO), die am 10. März 2021 in Kraft getreten ist. Diese verpflichtet Finanzmarktteilnehmer, ihren Umgang mit dem Thema Nachhaltigkeit offenzulegen.
In den Startlöchern steht außerdem die Sustainable-Finance-Strategie, die mit der Schaffung eines „grünen“ Klassifizierungssystem (Sustainable-Finance-Taxonomie) europaweit einheitliche Kriterien für ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten schaffen will. Auch diese bringt weitere Pflichten und Vorschriften für Versicherungen mit sich: Beispielsweise bei den nachhaltigkeitsbezogenen Offenlegungspflichten. Versicherer müssen im Lagebericht ausführen, wie und in welchem Umfang ihre Tätigkeiten mit nachhaltigem Wirtschaften verbunden sind.
Das Thema Nachhaltigkeit zieht also immer größere Kreise und wird zu einem Schlüsselkriterium für wirtschaftliche, umweltbezogene und soziale Entscheidungen – gerade bei Versicherern.
Schubert: Zwei Drittel der Deutschen schätzen laut Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit die Klimathematik als eine der Top-3-Herausforderungen unseres Landes ein. Doch Nachhaltigkeit ist mehr als Klima, wie eingangs beschrieben.
Auch für Versicherer spielen Nachhaltigkeitsaspekte eine immer größere Rolle, und werden ja zum Teil sogar gesetzlich gefordert. Die Versicherungsbranche setzt sich mit der Thematik auf vielfältige Art und Weise auseinander: Bei der Auswahl ihrer Kapitalanlagen, in ihren Produkten, als Kulturprozess oder auch bei der eigenen strategischen Unternehmenspositionierung. Zum Teil bestehen dazu auch Rechenschaftspflichten. Bei Versicherungen wirkt sich Nachhaltigkeit auf Bereiche des Risikomanagements, der Unternehmensführung und des Rechnungswesens aus. Produktinformationen müssen um Nachhaltigkeitsaspekte ergänzen werden, und diese auch im Underwriting berücksichtigt.
Auch in Vertrieb und Kundenberatung muss das Thema künftig stärker berücksichtigt werden. Neben den regulatorischen Anforderungen haben außerdem die Kund:innen einen wachsenden Anspruch an Versicherer und wollen wissen, wie diese mit ihrem Geld umgehen.
Laut der diesjährigen Studie „Nachhaltigkeit im Fokus“ des Marktforschungsinstituts Rothmund Insights will jeder zweite Kund:in nachhaltige Versicherungen. Gemäß Studie schreibt mehr als jeder fünfte Verbraucher:in (22 Prozent) den Versicherungsunternehmen bereits heute eine hohe Verantwortung für Nachhaltigkeit zu. Unter den aktiv nachhaltigkeitsbewussten Bundesbürgern tut dies sogar schon jeder dritte (32 Prozent). In Zukunft wollen über 50 Prozent aller befragten Verbraucher:innen – und sogar 70 Prozent der Nachhaltigkeitsbewussten – bei der Wahl von Versicherern und Versicherungsprodukten auf Nachhaltigkeit achten.
Freuen Sie sich schon jetzt auf den zweiten Teil unseres Interviews mit Désirée Schubert. Darin beantwortet sie uns unter anderem, warum Versicherer stärker auf Nachhaltigkeit setzen sollten und was die Corona-Krise mit Nachhaltigkeit zu tun hat.
Zur Person: Désirée Schubert ist geschäftsführende Gesellschafterin der Fährmann Unternehmensberatung GmbH, Senior Consultant der AMC-Finanzmarkt GmbH und Autorin des Springer essentials „Nachhaltigkeitskommunikation in der Versicherungsbranche“.
Mit mehr als 20 Jahren Praxiserfahrung in Marketing und Kommunikation über das Branchennetzwerk AMC hat sie sich als Expertin für verständliche Kommunikation und als Fach- und Studienautorin an der Schnittstelle von Nachhaltigkeit und Versicherer etabliert.