Die Start-up-Szene lebt zum Teil von diesem Ansatz: Sie schlüpfen in die Rolle der KundInnen und entwickeln aus dieser Perspektive heraus ihre Geschäftsmodelle. Zu der Frage, wie etablierte Unternehmen sich diese Methodik aneignen können, haben wir uns mit den Berliner Design Thinking ExpertInnen von Coaeva Innovation unterhalten.
Design Thinking geht von den KundInnen aus, greift deren Rolle, Verständnis und potenzielle Bedürfnisse auf. Bislang standen die KundInnen aber doch auch im Mittelpunkt. Worin liegt der Unterschied?
Coaeva Kurz gesagt: Design Thinking versucht aus einem fundierten Kundenverständnis heraus neue Services, Angebote, Produkte zu entwickeln. In Unternehmen wird häufig viel Zeit auf Optimierungen verwendet. Mitunter kann es vorkommen, dass Unternehmen über die Jahre eine Vielzahl von Prozessen abwickeln müssen und sich verändernde Kundenbedürfnisse dabei aus dem Blick geraten.
Sehr weit vorne im Prozess steht die Fokussierung auf Zielgruppen. Wie lässt sich sicherstellen, dass wirklich alle und alles im Blickfeld sind?
Coaeva Das ist gar nicht notwendig. Design Thinking erarbeitet keine Lösungen für alle Nutzergruppen. Vielmehr geht es darum, für ausgewählte Gruppen fundierte Lösungen zu finden. Welche Gruppen das sein können, ist abhängig von der strategischen Ausrichtung und den individuellen Herausforderungen der Unternehmung. Design Thinking ist ein qualitativer Ansatz. Eine Nutzergruppe kann beispielsweise die Generation Y sein, die Digital Natives, die eine grundsätzlich andere Erwartungshaltung an Online-Services haben als beispielsweise die Generationen davor. Extremnutzer können auch eine sehr gute Inspirationsquelle sein, um neue Chancen und Absatzmöglichkeiten zu entdecken.
Im Design Thinking werden mögliche Lösungen in einem Modell umgesetzt, dabei begegnet einem der Ausdruck „rapid prototyping“ – was bedeutet das?
Coaeva In kurzer Zeit mit den zur Verfügung stehenden Mitteln einen Prototypen der Idee zu entwickeln und angreifbar zu machen. Angreifbar deswegen, weil durch das Feedback von Kunden das Modell infrage gestellt oder sukzessive verbessert werden kann.
Der Prozess ist iterativ, das heißt, nach entsprechendem Feedback wiederholen sich einzelne Schritte. Wie oft muss man so etwas durchspielen?
Coaeva Design Thinking ist ein kollaborativer Prozess. Das Ende ist erreicht, wenn das Team das Gefühl hat, das Kundenbedürfnis ausreichend erfasst zu haben. Eine Faustformel gibt es dafür nicht.
Die Teams, die mit dieser Methode arbeiten, sind idealerweise Hierarchie übergreifend zusammengesetzt. Funktioniert das – auch wenn sich danach die Teammitglieder wieder in ihre herkömmlichen Strukturen einbinden müssen?
Coavea Das ist ein Thema, bei dem wir Coaches stark gefragt sind und sehr sensibel vorgehen. Wir achten auf gemischte Teams und darauf, wer dort das Wort führt. Für die Teilnehmer bedeutet das offen und wertschätzend miteinander umzugehen und gemeinsam kreativ zu arbeiten. Das ist etwas, was in immer mehr Unternehmen gefordert wird. Insofern kann das Miteinander in einem solchen Workshop die Unternehmenskultur durchaus bereichern.
Das Ganze ähnelt einem Kreativlabor, in dem die Teilnehmer ihren Ideen freien Lauf lassen. Welche Rolle spielen dabei die Kosten? Wer achtet darauf?
Coaeva Den Ideen freien Lauf zu lassen, genau darum geht es und das ist zugleich eine große Schwierigkeit zu Beginn: Das Ja-Aber-Denken abzulegen, optimistisch und frei zu denken. Der ‚Controller‘ bleibt zunächst also außen vor. Nach der Ideenentwicklung stellen wir mit dem Team erste Überlegungen zu möglichen Geschäftsmodellen an.
Gibt es eine Faustformel für die Größe der Teams und den zeitlichen Rahmen?
Coaeva Idealerweise sind fünf bis sieben Teilnehmer in einem Team. Das Kennenlernen der Methode und der Aufgabe bzw. des Themas dauert in etwa drei Tage. Wie lange danach die Teams arbeiten, lässt sich pauschal nicht beantworten. Das ist abhängig von der Aufgabe und können wenige Tage oder auch mehrere Monate sein.
Design Thinking ist ein kollaborativer Prozess. Welche räumlichen und technischen Voraussetzungen sollten dabei berücksichtigt werden?
Coaeva Da stoßen wir mitunter an Grenzen, wenn zum Beispiel in Konferenzräumen das Mobiliar nicht verschiebbar ist. Ausreichend Platz ist wünschenswert, vertikal beschreibbare Flächen, Materialien fürs Prototyping, gegebenenfalls ein PC bzw. ein Notebook und Beamer.
Ich kann mir gut vorstellen, dass Design Thinking gerne in der IT als Methode genutzt wird oder dass Unternehmen, die Produkte im klassischen Sinne herstellen, dies für Variationen oder neue Erfindungen nutzen. Wieso eignet sich Design Thinking auch für Dienstleistungsunternehmen?
Coaeva Design Thinking ist eine Methode, um Kunden zu verstehen, deren Bedürfnisse zu erkennen. Das ist unabhängig von Unternehmensbereichen oder Branchen. Tatsächlich lässt sich damit auch im B2B-Bereich arbeiten, sogar im Bereich der internen Abläufe eines Unternehmens.
Design Thinking und Digitalisierung in der Versicherungsbranche: Grundsätzlich geht es darum, smarte Geschäftsmodelle zu entwickeln. Sind die Versicherer dabei, den Vertrieb neu zu erfinden?
Coaeva Im Zuge der Automatisierung übernehmen Kunden mehr und mehr administrative Aufgaben. Von Vertriebsmitarbeitern hingegen erwarten die Kunden kompetente Beratung. Fragt man anders herum, worin der Vertrieb seinen Schwerpunkt sieht, erhält man eine deckungsgleiche Antwort: Beraten und Verkaufen. Die Frage ist also wie der Vertrieb seine Zukunft gestalten möchte. Die Digitalisierung eröffnet hier neue Möglichkeiten und Chancen und eben auch Freiräume für die Kernaufgaben des Vertriebs.
Zur Person: Coaeva Innovation entwickelt gemeinsam mit Unternehmen Innovationsstrategien für deren Zukunft. Im Vordergrund stehen die Entwicklung nutzerzentrierter Produktideen, das testen mit Prototypen und die Erschließung neuer Märkte. Coaeva Innovation hat mit uns den Workshop Wie können wir als BWV die Digitalkompetenz unserer Mitglieder fördern durchgeführt (→ Vom Sachbearbeiter zum Problemlösungsspezialisten).