Alle reden davon, viele tun es, manche wollen es und jeder weiß, dass agile Methoden und agiles Denken im Moment die entscheidenden Herausforderungen sind. Was steckt dahinter?
Wer von agilen Methoden in der Versicherungsbranche spricht, meint damit schlicht und ergreifend ein vollkommen neues Denken. Versicherung 2.0 sozusagen: Im Vordergrund stehen nicht mehr die Produkte und Lösungen, die, maßgeschneidert auf Zielgruppen, an den Mann bzw. die Frau gebracht werden müssen.
Agil heißt: Bisherige Strukturen aufbrechen, Perpektiven ändern und vom Kunden her denken, in deren Lebenswelten, Situationen und Bedürfnissen. Mehr noch: Agil zu sein bedeutet, zu jeder Zeit auf veränderte Ansprüche zu reagieren, im besten Fall diese sogar vorherzusehen.
Sie tragen klangvolle Namen wie insurHUB, digital factory und andere mehr und sind die Vorboten einer neuen Arbeitswelt: Klassische, hierarchische Strukturen gehören in den quirligen Entwicklungslaboren der Assekuranz der Vergangenheit an und sind durch interdisziplinäre, selbstorganisierte Teams ersetzt. Denn die Grundannahme ist, dass die Komplexität eines Projekts im Vorfeld nur sehr begrenzt durch Planung beherrscht werden kann, weil sich Rahmenbedingungen und Kundenanforderungen kontinuierlich verändern.
Nach einer Untersuchung der Wirtschaftsberatung Capgemini setzen zur Zeit insbesondere Versicherungsunternehmen überdurchschnittlich oft auf agile Methoden, um digitale Vertriebswege zu optimieren.
Kurz gesagt: Der Kampf um einen festen Platz auf dem Smartphone der Kunden hat längst begonnen. Denn agile Methoden gehen Hand in Hand mit der digitalen Entwicklung. Versicherung on demand ist beispielsweise eines der Zauberwörter. „Der agile Ansatz hilft uns, in sehr kurzer Zeit kundenorientierte und innovative Lösungen zu entwickeln“, sagt Wolfgang Hanssmann, Vorstandsvorsitzender der HDI Vertriebs AG.
Im insurHUB zum Beispiel arbeitet der Haftpflichtverband der Deutschen Industrie (HDI) mit Assekuranzunternehmen, die miteinander im Wettbewerb stehen, gemeinsam an Innovationen. „Erfahrungen werden geteilt, Fehler nur einmal bei den teilnehmenden Unternehmen gemacht werden“, erklärt Christian Mylius, Partner und Managing Director bei EY Innovalue, einem der Partner des insurHUB. „Geteilte Entwicklungskosten erzielen Skaleneffekte bei den Teilnehmern. Durch gemeinsame Stärke können Kunden schneller erreicht werden, wenn eine Lösung an den Markt geht.“ So entstehen im insurHUB vereinfacht gesagt Prototypen, die die TeilnehmerInnen in ihren eigenen Unternehmen später weiterentwickeln und individualisieren.
Bei der Allianz Deutschland heißt das Innovationslab digital factory und versteht sich als Motor für die kundenorientierte Digitalisierung. Andreas Nolte, CIO der Allianz Deutschland AG, erklärt die Grundprinzipien seiner „Tüftelbude“, wie sie von manchen humorvoll genannt wird. Zugleich geben diese einen guten Einblick in das, was dort geschieht, in die agile Arbeitswelt:
Customer Experience heißt, KundInnen von Beginn an in den Entstehungsprozess einfach und intuitiv bedienbarer Produkte und Services miteinzubeziehen, ihren Bedarf zu verstehen und erste Ideen zu testen. Die Rückmeldungen fließen unmittelbar in die weiteren Entwicklungsschritte ein.
Lean Startup heißt, in einer schlanken und interdisziplinären Organisationsstruktur zu arbeiten, um minimal funktionsfähige Produkte, Minimum Viable Products, kurz MVP, zu entwickeln. In etwa 100 Tagen wird ein Prototyp erstellt und in mehreren Schritten getestet und weiterentwickelt. Die Verantwortung für das MVP trägt ein Product Owner.
Finanzierungsrunden decken den Bedarf einer 100-Tage-Etappe ab. Ähnlich wie bei einem Startup müssen sich die Ergebnisse bewähren. Erst dann wird weiter finanziert, modifiziert oder gegebenenfalls auch eingestampft.
Co-Location bedeutet, ressortübergreifend, in crossfunktionalen Teams möglichst störungsfrei und konzentriert zu arbeiten. Das garantiert schlanke Abstimmungsprozesse, Geschwindigkeit und Qualität.
Elastic Infrastructure ermöglicht vorab definierte Software-Tests, die dann automatisiert und in Echtzeit laufen, Test-Driven Development also. Zudem können Anpassungen unmittelbar eingespielt, die Software skaliert werden.
Ist agiles Arbeiten die Zukunft? „Ganz eindeutig“ ja, meint Wilhelm Bauer, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO. „Arbeit wird sich agil verändern. Wir werden neue Formen haben, digitalisierte Prozesse. Wir werden stärker mit Daten und mobiler arbeiten. Das Thema Team und Zusammenarbeit, offene Kollaborationsprozesse – alles das sind Aspekte, die Unternehmen heute schon und vor allem in der Zukunft ganz massiv beeinflussen werden. Dadurch ändert sich die Art, wie sich Unternehmen organisieren, wie Menschen arbeiten.“