Neues Lernen im neuen Normal

Digitale Lernplattformen können schnell auf Veränderungen reagieren. Zugleich sind sie die Basis für eine neue Lernkultur. Ein Besuch in einem e-Campus
Führungskräfte// 22. September 2020

Neues Lernen heißt eine Initiative bei ERGO Weiterbildung, die bereits seit 2019 immer wieder neue Arten des Lernens fernab klassischer Schulungen erprobt. Wie wichtig diese Expeditionen in unbekannte Lernformen sind, hat sich während des Lockdowns gezeigt: In nur vier Wochen haben die TrainerInnen eine Skype-Anwenderschulung entwickelt, die mehr als 800 MitarbeiterInnen online durchlaufen haben.

Ursprünglich anders gedacht, gab die plötzlich auf breiter Basis gewachsene digitale Kompetenz dem virtuellen Bildungsprogramm einen gewaltigen Schub: Im Vergleich der Zeiträume 1. April bis 15. Mai 2019 und 1. April bis 15. Mai 2020 ist die im e-Campus verbrachte Lernzeit um 36% gestiegen.

Bestandteile der digitalen Lernplattform, des e-Campus, sind kleine Einheiten, Nuggets, mit schnell umsetzbaren Vorschlägen, Tipps und Tricks für das Arbeiten im Homeoffice und die virtuelle Zusammenarbeit.
Auch konkrete Bildungsangebote, Pflichtschulungen, die innerhalb kürzester Zeit in digitale Formate umgewandelt wurden, sind im e-Campus integriert. Ebenso können dort New-Work-Methoden ausprobiert und trainiert werden, etwa Design Thinking (s. Beitrag → Design Thinking: Kollaborativ und kreativ), Canvas oder Working out loud. (s. Beitrag → Lautes Lernen. Geballtes Wissen.).
Vertrieblich tätige MitarbeiterInnen können darüber hinaus ihre IDD-Pflichtstunden (→ Glossar) im e-Campus vollständig erwirtschaften.
„Mit unserem virtuellen Bildungsbooster-Programm konnten wir die Lernzeiten der ERGO MitarbeiterInnen steigern und eine positive, von Eigenverantwortung geprägte Lernkultur schaffen,“ erklärt Verena School, Leiterin Weiterbildung bei ERGO.

Grund genug, genauer nachzufragen.

Frau School, einer aktuellen Studie zufolge ist die anfängliche Euphorie über das New Normal einer deutlichen Ernüchterung gewichen: Nur 30 Prozent der Befragten, die im Homeoffice arbeiten, sind nach eigenen Angaben dort ebenso produktiv wie zuvor im Büro. Müssen wir das New Normal erst noch lernen?

School: Die extreme Umstellung von 100 Prozent Arbeitszeit im Büro auf 100 Prozent mobiles Arbeiten von zu Hause hat sicherlich bei vielen Betroffenen zu einer besonderen Herausforderung geführt. Zuerst waren alle begeistert, dass es überhaupt funktioniert, da es ja große Vorbehalte gegen mobiles Arbeiten gab. Aktuell wird genauer geschaut, was tatsächlich langfristig funktioniert und wo auch die Stolpersteine liegen. Die Organisation beim Arbeiten von zu Hause will gelernt sein, hier unterstützen wir mit Webinaren für Mitarbeiter, aber auch für Führungskräfte. Perspektivisch wird sicherlich die eine oder andere Dienstreise durch einen Video-Call ersetzt werden, der persönliche Austausch wird aber nicht komplett entfallen.

Sie haben bereits 2019 eine unternehmensweite Initiative zum Thema Neues Lernen gestartet. Inwieweit hat die COVID-19-Pandemie die Entwicklung und die Akzeptanz beschleunigt?

School: Der Lockdown im Rahmen der COVID-19-Pandemie hat allen digitalen Angeboten mit Sicherheit deutlich den Weg geebnet, da sie zu diesem Zeitpunkt alternativlos waren und daher nicht eines besonderen Marketings bedurften. Auf der anderen Seite waren wir als Verantwortliche für Aus- und Weiterbildung auch gefordert, das gesamte Portfolio nun nochmal zu prüfen und neue kreative Lösungen zu finden.

Neues Lernen meint im doppelten Wortsinn den Inhalt und die Form. In Bezug auf die Form: Welche Rolle spielen dabei noch klassische Präsenzangebote? Sind diese ein Auslaufmodell?

School: Klassische Präsenzangebote, die wirklich nur aus einem Präsenztermin bestehen, werden immer seltener, denn hier fehlt in vielen Fällen der Transfer des Erlernten in die Praxis. Wir arbeiten bei unseren Angeboten mittlerweile ausschließlich mit einem Blended-Learning-Ansatz, der verschiedene Lernformen kombiniert. Im Rahmen einer mehrstufigen Learning Journey sind Module in Präsenz für die Zukunft, sofern die Rahmenbedingungen es zulassen, auf jeden Fall weiterhin geplant.

Ein ganz großes Manko im Homeoffice, das viele gespürt und geäußert haben, war und ist die fehlende Sichtbarkeit der eigenen Person im tatsächlichen und übertragenen Sinn. Online-Meetings sind zwar ein probates Mittel. Diese sind aber oft sehr fokussiert und konzentriert, so dass Zwischenmenschliches auf der Strecke bleibt. Ist im New Normal kein Platz mehr für Zwischentöne?

School: Das kann ich klar verneinen. Aber die Herausforderung haben wir auch gespürt. Insbesondere Führungskräfte sahen sich mit der Aufgabe konfrontiert, wie sie ihre Teams auf menschlicher Ebene zusammenhalten. Mein persönlicher Tipp zu dem Thema ist die Kommunikationshäufigkeit zu erhöhen. In unserem Team haben wir ein Daily, also ein tägliches Meeting bei dem wir uns austauschen. Hier sprechen wir auch über persönliche Herausforderungen, nicht nur über zu erledigenden Aufgaben. Um die Balance hinzubekommen nutzen wir ein digitales Whiteboard auf das jeder die Themen schreiben kann, die besprochen werden müssen. Den Rest der Zeit nutzen wir dann für den Austausch auf persönlicher Ebene. So können alle Teammitglieder ihre Fragen platzieren, es bleibt aber auch genug Platz, dass sich jeder gesehen und gehört fühlt. Außerdem würde ich immer empfehlen die Kamera bei Video Calls auch mal einzuschalten. Es ist erstaunlich wie stark das Gefühl von Nähe ansteigt, wenn man sich sieht und nicht nur hört.

Neues Lernen bedeutet unter anderem auch Lernen on demand, in kleinen Nuggets und in Eigenverantwortung. Die Arbeit muss aber trotzdem gemacht werden. Hat sich der Arbeitsalltag Ihrer MitarbeiterInnen dadurch verdichtet? Oder ist das Ganze ein Nullsummenspiel, da Präsenzseminare und -schulungen sich zum Teil erübrigt haben, die Lernzeit also nur anders verteilt ist?

School: Neues Lernen ersetzt traditionelle Angebote. Die Lernzeit ist also tatsächlich einfach anders verteilt. Als die meisten noch zu 100 Prozent im Büro gearbeitet haben, wurde uns oft zurückgemeldet, dass am Arbeitsplatz kein konzentriertes Lernen in kleinen Nuggets möglich ist. Diese Rückmeldungen bekommen wir aktuell nicht mehr, da das beim Arbeiten von zu Hause deutlich einfacher ist.

Einige Angebote Ihres e-Campus zählen für vertrieblich tätige InnendienstmitarbeiterInnen auf deren IDD-Konto. Was ist mit den anderen MitarbeiterInnen und deren Bildungszeit?

School: MitarbeiterInnen können bei den meisten digitalen Angeboten eine Teilnahmebescheinigung bekommen. Diese können sie auf freiwilliger Basis in der elektronischen Personalakte hinterlegen. Ein Controlling der digitalen Bildungszeiten erfolgt außerhalb von IDD aktuell nicht personenbezogen.

Sind einzelne Bausteine genehmigungspflichtig oder kann jede/r das lernen, was sie/ihn interessiert und im besten Fall auch einem individuellen Entwicklungspfad folgen?

School: Beim digitalen Lernen auf dem e-Campus ist keine Genehmigung durch den Vorgesetzten erforderlich und die Angebote sind frei verfügbar. So können sich MitarbeiterInnen, idealerweise im Austausch mit ihren Führungskräften, individuelle Lernpfade gestalten. Bei Bedarf beraten wir auch gern und stellen relevante Bausteine passgenau zusammen.

 

Die Notwendigkeit einer neuen Lernkultur ist vielleicht nicht jeder/m bewusst; manche kennen Ihre Bildungsangebote möglicherweise nur vom Hörensagen, nutzen diese aber nicht. Wie gehen Sie damit um bzw. wie können Führungskräfte damit umgehen?

School: Neben unserem digitalen Katalog im Intranet bieten wir einen wöchentlichen Newsletter an, zu dem sich MitarbeiterInnen und Führungskräfte bei Interesse anmelden können. Dort verlinken wir dann auch immer direkt auf aktuelle Angebote. So verringern wir die Hürde einfach mal zu starten. Führungskräften bieten wir an, unser Programm in Team- oder Abteilungs-Meetings vorzustellen.

Ihr virtuelles Bildungsbooster-Programm ist ebenso ambitioniert wie umfassend. Nun hat aber nicht jedes Versicherungsunternehmen die personellen und finanziellen Ressourcen wie ERGO. Was davon würden Sie kleineren Unternehmen empfehlen, die ja durchaus dieselbe Problematik haben und sich ebenfalls auf New Learning im New Normal einstellen müssen?

School: Man kann auch klein Starten. Was zählt ist, dass man tatsächlich startet und die MitarbeiterInnen im New Normal nicht allein lässt. Bei fast allen Unternehmen gibt es irgendein Konferenz-Tool, wie Skype, Teams oder Zoom. Damit lassen sich prima Webinare gestalten. Auch wenn es nicht möglich ist, Altbewährtes eins zu eins in Webinaren zu vermitteln, so bieten sich mit Sicherheit einige Themen als Auszüge an. Es muss nicht direkt der große Wurf sein. Wichtig ist es, als Personalentwicklung mutig zu sein und voranzugehen bei der Umstellung auf digital und dann die MitarbeiterInnen Schritt für Schritt mitzunehmen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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